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Wissensmanagement im Zeitalter von GenAI

Datum
10.4.25
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Informationen und Wissen sind zwei sehr wichtige Assets für jedes Unternehmen. Seit Jahren setzen wir Informations- und Wissensmanagementsysteme ein, um sicherzustellen, dass kritisches und wertvolles Wissen im Unternehmen erhalten bleibt und sich weiterentwickelt. Neue Fortschritte im Bereich GenAI lassen vermuten, dass Dokumentation künftig viel einfacher wird, da virtuelle Assistenten große Teile dieser Aufgaben automatisch übernehmen können. Doch wie wirkt sich das auf Wissen als Unternehmenswert aus?

Eines der bekanntesten und wichtigsten Modelle in der Informationstheorie ist das SECI-Modell von Nonaka & Takeuchi, das vier Phasen beschreibt: Sozialisierung, Externalisierung, Kombination und Internalisierung. Kurz gefasst bedeutet das Folgendes:

 • Sozialisierung: Wissen wird zwischen Menschen durch Gespräche, Diskussionen, gemeinsames Beobachten usw. übertragen und erweitert.

 • Externalisierung: Dieses Wissen wird für andere dokumentiert, zum Beispiel durch das Schreiben von Dokumenten, das Ablegen von Daten in Datenbanken, das Hinzufügen von Kommentaren in Kollaborationsplattformen, das Erstellen von Wiki-Einträgen oder Beiträgen im Unternehmensintranet usw.

 • Kombination: In dieser Phase werden all diese Dokumente genutzt, um neues Wissen zu generieren, gemeinsame Themen zu erkennen, Inhalte zu kategorisieren oder Informationen zu archivieren.

 • Internalisierung: Menschen lesen die Dokumente, konsumieren bestehende Inhalte und lernen tatsächlich etwas. Sie verinnerlichen das neue Wissen.

Unternehmen mit gutem Wissensmanagement etablieren Prozesse, um Wissen über alle vier Phasen hinweg zu erhalten: durch interne Schulungen, umfangreiche Dokumentation, Wissensmanagementsysteme, Messung der Wissensqualität sowie durch das Sichern und Weitergeben von Wissen, wenn Mitarbeitende das Unternehmen verlassen oder neue Mitarbeitende eingearbeitet werden. Sie verbessern ihr Wissen, indem sie es aktiv managen. In vielen dieser Unternehmen gibt es sogar einen Chief Knowledge Officer (CKO) auf C-Level, der – mit Team, Budget, klaren Zielen, Governance und Vorgaben – die Verantwortung trägt.

Was passiert nun, wenn GenAI in den Prozess der Externalisierung und Kombination eingebunden wird?

Derzeit hören wir häufig, wie GenAI das Schreiben und Erstellen von Dokumenten verbessern kann. Viele Produkte versprechen, dass Menschen mit GenAI schneller arbeiten können. Und – zugegeben – das Schreiben von Dokumentation ist oft eine mühsame und wenig motivierende Aufgabe. Warum also nicht ChatGPT nutzen, um ein paar Absätze, UML-Diagramme, Statistiken oder schöne Bilder automatisch zu generieren? Die Mitarbeitenden können ihre Aufgaben schneller erledigen und sich auf interessantere Arbeiten konzentrieren. Darüber hinaus kann ChatGPT ansprechende Zusammenfassungen, Anmerkungen, Schlagwörter und Taxonomien erstellen, Topic Modeling durchführen, SEO für unsere Artikel erledigen und vieles mehr. Was sollte daran schlecht sein?

Kurzfristig betrachtet – nichts. GenAI kann in der Tat viele Aufgaben im Bereich Wissensmanagement unterstützen und beschleunigen. Es gibt beeindruckende Tools, die den Arbeitsaufwand unserer hochqualifizierten Mitarbeitenden erheblich reduzieren können.

Langfristig jedoch kann GenAI den Wissenserarbeitungsprozess in Unternehmen schädigen oder sogar stoppen. Ein Beispiel: Aktuell erstellen Mitarbeitende in der Softwaredokumentation Use-Case-Diagramme, um aufzuzeigen, welche Prozesse die Software unterstützen soll. Diese Mitarbeitenden sind geschult darin, solche Use-Cases in UML zu modellieren, was oft zu ansprechenden Diagrammen und teilweise umfangreichen Beschreibungen führt. Wenn dieselben Mitarbeitenden GenAI nutzen, um Use-Case-Diagramme oder Beschreibungen zu generieren, ist das zunächst kein Problem: Sie können die generierten Passagen überprüfen, gegebenenfalls korrigieren und sind schneller und zufriedener als zuvor. Das Wissen wird nach wie vor externalisiert – nur nun eben mithilfe einiger KI-generierter Inhalte.

Wenn jedoch neue Mitarbeitende ins Projekt kommen, wird sich ihr Onboarding-Prozess verändern: Sie lernen nicht mehr, wie man selbst Use-Cases oder UML-Modelle erstellt, sondern eher, wie man passende Prompts formuliert, um diese Modelle automatisch generieren zu lassen. Dies wird durch das Management noch verstärkt, das sich inzwischen an die schnellere Bearbeitungszeit gewöhnt hat. Allerdings verlieren diese neuen Mitarbeitenden dadurch die Fähigkeit, die Ergebnisse fachkundig zu überprüfen. Und da all diese GenAI-generierten Inhalte nach wie vor gespeichert (z.B. in SharePoints oder Dokumentendatenbanken) und in der Kombination-Phase ausgelesen werden, um gemeinsames Wissen abzuleiten, Wissen zu gruppieren und für neue Nutzer aufzubereiten, geschieht Folgendes:

 1. GenAI-Inhalte werden als wichtiger eingestuft als traditionelle, von Menschen erstellte Inhalte, weil sie in der Regel besser annotiert oder mit passenderen Schlagwörtern versehen sind.

 2. Da wir maschinelles Lernen auf unsere Daten anwenden, um Wissenscluster zu erkennen, wird GenAI-Inhalt zusätzlich als besonders relevantes Unternehmenswissen bewertet, weil er durchgängigere Muster aufweist als Inhalte, die von hunderten verschiedenen Mitarbeitenden stammen.

Das bedeutet, dass in der Kombination-Phase menschlich generiertes Wissen weniger Bedeutung hat als die von GenAI erzeugten Inhalte. Wenn wir diese Phase zur Einarbeitung neuer Teammitglieder nutzen, geschieht dies zunehmend auf Basis von generierten Inhalten – und immer weniger auf Grundlage des menschlichen Wissens aus dem Unternehmen. Schlimmer noch: Wenn GenAI-Inhalte falsch, verzerrt, manipuliert oder „halluziniert“ sind, wird das womöglich niemand bemerken.

Langfristig kann so das menschliche und unternehmenseigene Wissen verloren gehen. Da Wissen aber nach wie vor als einer der wichtigsten Werte eines Unternehmens gilt, könnten Unternehmen so ihr Fundament verlieren. Natürlich ist dieses Szenario stark vereinfacht dargestellt, doch in der langfristigen Betrachtung von Wissensschaffung, -erhaltung und -vermittlung wird es zweifellos Auswirkungen geben, wenn GenAI menschliche Beiträge immer stärker ersetzt.

Was können wir dagegen tun?

Bereits heute müssen wir mit schlechtem, falschem oder irreführendem Wissen umgehen. Genau deshalb führen wir Wissensmanagement ein. Und deshalb messen wir die Qualität von Wissen. In naher Zukunft werden manche dieser Qualitätskennzahlen womöglich steigen, weil neue Inhalte durch GenAI „besser“ erscheinen. Um sicherzustellen, dass dies nicht zu Fehlinterpretationen führt, benötigen wir zusätzliche Metriken, die sich auf die Kombination- und Internalisierungsphase konzentrieren. Wir müssen zwischen menschlichen und GenAI-Inhalten unterscheiden, GenAI-Inhalte klar kennzeichnen und ihre Relevanz für maschinelle Lernverfahren zur Clusterbildung reduzieren. In Unternehmen lässt sich das relativ leicht umsetzen, erfordert jedoch entsprechende Weichenstellungen von Beginn an. Schließlich müssen wir den zwischenmenschlichen Austausch fördern, um Wissen weiterhin direkt zwischen Menschen weiterzugeben und gemeinsam zu entwickeln. Denn genau dieser persönliche Austausch könnte sich in Zukunft als wichtigste Quelle unternehmensrelevanter Informationen erweisen.

Menschen sollten stets wichtiger sein als GenAI.

Und Wissen muss stärker denn je gemanagt werden!

GenAI kann kurz- und mittelfristig viele Prozesse im Wissensmanagement erheblich beschleunigen und vereinfachen. Langfristig droht jedoch die Gefahr, dass menschliches Fachwissen verloren geht, weil neue Mitarbeitende vor allem lernen, KI-generierte Inhalte abzurufen anstatt eigenes Wissen aufzubauen. Das SECI-Modell von Nonaka & Takeuchi zeigt, wie Wissen in vier Phasen (Sozialisierung, Externalisierung, Kombination, Internalisierung) entsteht und weitergegeben wird. Wenn GenAI-Inhalte wichtiger werden als menschliche Quellen, kann dies zu falschem oder verzerrtem Wissen führen, das sich unbemerkt verbreitet. Unternehmen sollten deshalb KI-Inhalte klar kennzeichnen, Qualitätskriterien anpassen und den persönlichen Wissensaustausch stärken.
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GenAI beschleunigt kurz- und mittelfristig das Wissensmanagement, gefährdet jedoch langfristig menschliches Fachwissen und erfordert daher klare Kennzeichnung von KI-Inhalten, angepasste Qualitätsstandards und verstärkten persönlichen Austausch.